Koalition einigt sich auf neue Vorratsdatenspeicherung

Schwarz-Rot hat sich darauf verständigt, den heftig umstrittenen Regierungsentwurf zum Protokollieren von Nutzerspuren noch diese Woche fast unverändert durch den Bundestag zu schleusen.

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Vorratsdatenspeicherung

(Bild: dpa, Felix Kästle/heise online)

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Die große Koalition will den umkämpften neuen Vorstoß der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung vom Mai bereits in dieser Woche unter Dach und Fach bringen. Laut einem schwarz-roten Änderungsantrag, der heise online vorliegt, soll die Initiative ohne inhaltliche Korrekturen den Bundestag passieren. CDU/CSU und SPD wollen demnach der Regierung nur die Pflicht auferlegen, die Vorschriften innerhalb von drei Jahren zu evaluieren.

Das leicht modifizierte Vorhaben soll dem Vernehmen nach am Mittwoch den federführenden Rechtsausschuss des Bundestags passieren, am Freitagmorgen sind die abschließenden Lesungen im Plenum geplant. Die neue Vorratsdatenspeicherung könnte dann mit dem Segen des Bundespräsidenten nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt prinzipiell noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die ein oder andere Übergangsregel soll laut dem Regierungstext aber noch greifen.

Vorratsdatenspeicherung

Experten hatten bei einer parlamentarischen Anhörung vergangenen Monat gewarnt, dass die Luft für den Vorstoß "sehr dünn" sei und das Bundesverfassungsgericht ihn erneut kippen könnte. Das erste, noch weitergehende schwarz-rote Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung hatten die Karlsruher Richter 2010 für verfassungswidrig erklärt. 2014 kassierte der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch die EU-Richtlinie, auf deren Basis Provider Nutzerspuren anlasslos protokollieren mussten. Beide Gerichte unterstellten dem Instrument eine große Eingriffstiefe und warnten vor Missbrauchsgefahren.

Dies räumt auch die Koalition in ihrem Antrag ein. Sie zeigt sich trotzdem sicher, dass der Entwurf den Anforderungen sowohl des Verfassungsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs "ausdrücklich Rechnung" trage und deren Vorgaben umsetze. Viele Praktiker hätten zudem betont, dass die Vorratsdatenspeicherung "notwendig" sei. Es gebe aber gegenwärtig naturgemäß keine empirischen Studien zu der Frage, ob die neue, vergleichsweise restriktive Regel tatsächlich die gewünschten Effekte hervorbringe und Ermittlern helfe. Gleichzeitig seien die damit verbundenen Kosten für Wirtschaft und Verwaltung im Blick zu behalten.

Eine Studie des Freiburger Max-Planck-Instituts für Strafrecht hatte 2012 ergeben, dass die "alte" Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote nicht verbessert. Inwiefern kürzere Aufbewahrungsfristen dieses Bild korrigieren sollen, vermag die Koalition nicht zu sagen. Wie sich die neue Initiative auf die Grundrechte auswirken, möchte sie nicht überprüft wissen. Allein die "Einhaltung der datenschutzrechtlichen Regelungen" führt sie noch in ihrem Auftrag auf, der mithilfe eines "wissenschaftlichen Sachverständigen" ausgeführt werden soll.

Zugangsanbieter müssen laut Gesetzentwurf Verbindungsinformationen zehn Wochen und Standortdaten vier Wochen lang speichern. Der Bereich E-Mail soll ausgenommen werden. Anbieter, die ihren Kunden nur eine kurzzeitige Nutzung des Telekommunikationsanschlusses ermöglichen, müssen keine Daten aufbewahren. Das bezieht sich gemäß Bundesnetzagentur etwa auf Betreiber von Hotels, Restaurants und Cafés, die ihren Kunden einen WLAN-Hotspot zur Verfügung stellen.

Provider und Anbieter von Internet-Telefonie müssen nach dem neuen Paragraph 113b Telekommunikationsgesetz (TKG) neben IP-Adressen auch "eine zugewiesene Benutzerkennung" wie Port-Nummern speichern. Kritiker gehen davon aus, dass damit eine deutlich größere Datenmenge als bei der ersten Vorratsdatenspeicherung und ein "echtes Internet-Nutzungsprotokoll" sogar für besuchte Webseiten entstünde, abgesehen von großen technischen Schwierigkeiten und wenig faktischem Nutzen.

Teil des Entwurfs ist auch ein Paragraph, mit dem "Datenhehlerei" strafbar werden soll. Juristen warnen hier vor einem "U-Boot", das den investigativen Journalismus und Whistleblower gefährde.

Der grüne Netzpolitiker Konstantin von Notz warf Schwarz-Rot vor, das "hoch umstrittene Projekt" im Hauruck-Verfahren durch den Bundestag peitschen zu wollen. Dies zeige den Stellenwert, den Bürgerrechte in Zeiten der großen Koalition genössen. Die Opposition werde "alle demokratischen Mitteln nutzen, um gegen die Vorratsdatenspeicherung vorzugehen". Erste Bürgerrechtsorganisationen wie Digitalcourage stricken bereits an Verfassungsbeschwerden. (mho)